Deichmann ist bekannt. Vielleicht sogar mehr als das. Laut eigenen Angaben haben bereits 70 Prozent aller Deutschen in ihrem Leben einmal bei Deichmann Schuhe gekauft. Das ist erstaunlich und Grund genug für mich einen Deichmann Schuh einmal in mein Testlabor einzuladen.
In seinem oberen Preissegment führt Deichmann die Hausmarke Borelli. Herrenschuhe, die unter diesem Label gefertigt werden, sind angeblich aus feinstem Leder und sollen durch ihre gute Passform überzeugen. Der Clou: Borelli-Herrenschuhe sind rahmengenäht. Der Preis für die Borelli-Herrenschuhe, die im Folgenden weiterhin so von mir genannt werden, da ihr wirklicher Name eher einer Sträflingsnummer (1331531) gleicht, scheint konkurrenzlos günstig zu sein. Doch wie gut können rahmengenähte Herrenschuhe bei einem Verkaufspreis von knapp 60 Euro wirklich sein? Die Antwort erfahren Sie in meinem Test.
Das Testergebnis
Optik
Die Borelli-Herrenschuhe sind Klassiker der Schuhgeschichte. Es handelt sich hierbei um einen Full-Brogue Derby in Schwarz. Charakteristisch für die Borelli-Herrenschuhe und alle anderen Full-Brogues ist seine rosettenverzierte Vorderkappe, die herzförmig ausgeschnitten ist und bis zum Schaft der Schuhe reicht. Die aufgesetzten Flügel- und Fersenkappen verfügen ebenso über reichhaltige Lyralochungen.
Der Fachmann spricht in diesem Falle von einem sportlichen Charakter, auch wenn die Allgemeinheit hiermit wohl eher Sportschuhe assoziieren würde. Full-Brogues waren früher übrigens klassische Golfschuhe. Der Herzog von Windsor trug sie auf dem Green, aber ebenso zu gesellschaftlichen Anlässen. Er machte diese Herrenschuhe weltweit populär.
Das Erscheinungsbild der Borelli-Herrenschuhe gibt keinen Anlass zur Klage, wenn man einmal vom traurig schimmernden Oberleder absieht, welches im krassen Kontrast zur glänzenden Vorderkappe steht. Deichmanns Schuhdesigner haben sich hier klar an die klassischen Vorgaben gehalten. Es muss nun jeder selbst entscheiden, ob er einen Full-Brogue Derby vom Aussehen her schätzt, oder ob ihm die reichhaltigen Verzierungen vielleicht doch ein klein wenig zu viel des Guten sind. Für mich indes trifft Letzteres zu. Über sportliche Kombinationen, zu denen dieser Schuh wohl am besten passt, verfüge ich nicht und sein Absatz wirkt für mich ein klein wenig zu mächtig. Auch hätte der Leisten, auf dem der Borelli-Schuh gefertigt wurde, ruhig ein klein wenig enger vorne zusammenlaufen dürfen.
Kurzum: Der gemeine Schuhfreund kann beim Look der Borelli-Herrenschuhe nicht groß meckern. Wer klassische Schuhmodelle bevorzugt, der bekommt hier genau das optisch geboten – ohne Wenn und Aber. Allein für meinen Geschmack wäre ein dezenterer Absatz, als auch ein schmalerer Leisten von Vorteil gewesen, um dem Schuh noch einen Tick an Eleganz zu verleihen. Das milchige Oberleder schafft dies zumindest nicht.
Verarbeitung
Ganz ehrlich, ich war schon ein bisschen baff, als ich den Borelli-Schuh zerlegte. Noch im heilen Zustand hatte der Schuh auf mich einen sehr soliden Eindruck gemacht. Er ist griffig, hat das nötige Gewicht und auf den ersten Blick ließen sich keine Schluderarbeiten erkennen – sieht man einmal von dem nicht immer sauber geschnittenen Zackenmuster ab, welches an den aufgesetzten Kappen verläuft, sowie den unsauber zusammenlaufenden Rahmenenden.
Doch das Freilegen des Innenlebens entlockte mir tatsächlich ein lang gezogenes »Ohhhhhh«. Damit hatte ich nun nicht gerechnet und hielt die Versprechungen des Beipackzettels (»Innenfutter aus Leder«, »Korkfußbett«) für Augenwischerei. Um mein Erstaunen hier noch einmal zu untermauern: Der Schuh hat mich tatsächlich nur 59,90 Euro gekostet!
Auf den ersten Blick halten die Borelli-Herrenschuhe also die Versprechungen ihres Herstellers. Die grobe Korkausballung weist einen opulenten Durchmesser auf und der gesamte Innenraum ist mit Leder gefüttert – dem natürlichen Feind des Schweißfußes.
Ein Anblick also, den ich eigentlich nur von Schuhen aus einem deutlich höheren Preissegment gewohnt bin.
Doch natürlich ist nicht immer alles Gold, was glänzt. Bei näherer Betrachtung offenbarte sich im Anschnitt ein ausgefranstes Futter an der Oberkante des Schaftes. Dies wiederum ist ein klares Zeichen für eine weniger sorgfältige Verarbeitung. Die Schaumstoffschicht unter der Ferse, die für eine ausreichende Polsterung des Fußes sorgen soll, fällt für meinen Geschmack ein klein wenig zu dünn aus. Statt eines Gelenkstücks, welches die Führung des Fußes im Schuh begünstigt, als auch dem Erhalt der Schuhform dient, entdecke ich einen seltsamen Plastikspachtel, dessen genaue Funktion sich mir nicht wirklich erschließen möchte. Etwa ein Gelenkfederersatz? Zumindest war der Schlingel gut im Kork versteckt gewesen.
Trotz einiger Makel, die Borelli-Herrenschuhe sind für ihren Verkaufspreis äußerst gut! Ich kann hier wohl kaum die Qualität in Verarbeitung und Material erwarten, wie ich es bei 200-Euro-Schuhen und aufwärts tue. Im Gegenteil, von dem Gesehenen war ich durchaus positiv überrascht. Ganz ehrlich, ich hatte mit dem Schlimmsten gerechnet, da Anspruch und Wirklichkeit sehr oft gigantisch weit auseinander liegen – gerade bei Firmenwerbung.
Ledertest
Wir haben bisher erfahren, dass Obermaterial, Innenmaterial und Laufsohle aus echtem Leder sind. Soweit so gut und die Verwendung von Leder ist natürlich weitaus besser als Kunststoffe, doch wie steht es um die Qualität des verarbeiteten Leders in den Borelli-Herrenschuhen?
Zunächst einmal ist das Oberleder mit einer Dicke von 2 Millimetern recht dünn ausgefallen. Bei einem leichten Druck mit dem Finger schlägt es viele kleine Falten. Ein Zeichen dafür, dass hier zu viel Farbe aufgetragen wurde, was wiederum vermuten lässt, dass dadurch leichte Mängel in der Qualität des Leders kaschiert wurden. Welche Ledersorten hier zum Einsatz kommen und wie sie gegerbt sind, ließ sich selbst nach einer langen Recherche nicht herausfinden. Nur soviel: Deichmann bezieht sein Leder aus Gerbereien in Fernost.
Doch auch hier will ich überhaupt nicht den Ankläger spielen. Ein rahmengenähter Schuh in dieser Preisklasse muss irgendwo einsparen und das hier nicht die besten Leder verwendet wurden, dürfte demnach klar sein. Gleiches gilt übrigens auch für die verwendeten Futterleder.
Noch eine Vermutung zur Laufsohle: Diese scheint mir fassgegerbt zu sein, da ich doch recht schnell feuchte Füße in den Schuhen bekam. Ein Ausweg, der natürlich kostenintensiver für die Unternehmen ist, bietet der Einsatz einer grubengegerbten Laufsohle. Ihre Atmung ist weit aus besser als die der fassgegerbten Sohle.
Den abschließenden Wassertest haben die Borelli-Schuhe dagegen mit Bravour bestanden. Das Leder scheint bestens präpariert und das den Schuh treffende Wasser rutschte genauso rasch hinfort, wie es über den Borelli kam. Doch meine Vermutung, dass hier zu viel Farbe aufgetragen wurde, bestätigte sich leider. Die Wasserpfützen unter dem Schuh waren alles andere als klar (siehe Bild). Seien Sie also vorsichtig, wenn Sie mit Ihren neuen Borelli-Herrenschuhen in eine Husche geraten und danach über den weißen Flokati flanieren möchten. Ihr Gastgeber könnte mit einem Tobsuchtsanfall reagieren.
Tragetest
Es war gar nicht so einfach in die Borelli-Herrenschuhe hineinzukommen. Für Männer, die aus unerfindlichen Gründen nach wie vor keinen Schuhlöffel benutzen, wird der Einstieg in diese Schuhe nahezu unmöglich werden, wenn sie nicht den Schuh nachhaltig beschädigen möchten.
Sitzen sie dann aber einmal an den Füßen, so fühlen sich die Borelli-Herrenschuhe äußerst gut an. Fest und dabei angenehm leicht umfassen sie den Fuß und auch die ersten Schritte wissen zu begeistern. Doch halt, was ist das? Drückt der Schuh im Fersenbereich? Ein wenig, das kann ich nicht leugnen. Ich bin hier wohl eine bessere Dämpfung gewöhnt. Auch habe ich das Gefühl, das ich ein klein wenig nach vorne kippe, wenn ich in den Schuhen stecke. Liegt das am Leisten, der hier benutzt wurde, oder habe ich dieses unwohle Gefühl exklusiv?
Vorne passt mir der Schuh wie angegossen, doch ich gebe zu bedenken, dass ich einen normalen Spann besitze. Herren mit einem hohen Spann werden definitiv nicht ihre Freude mit den Borelli-Herrenschuhen haben.
Bereits nach kurzer Tragedauer weiß ich die mit einem Profil versehene Gummiabsatzflecke zu schätzen. Auf Teppichunterböden, auf denen man sich mit Ledersohlen traditionell wie auf Glatteis fühlt, geben sie mir einen sicheren Rückhalt.
Nach einer knappen Woche Tragezeit bemerke ich erste Gehfalten. Diese verwundern mich bei dem verwendeten weichen Oberleder auch kaum. Meine Füße werden jedes Mal sehr rasch heiß in den Borelli-Herrenschuhen, das hätte ich nicht unbedingt erwartet. Ansonsten verrichten sie ihren Dienst gut. Selbst nach sechs Stunden Dauertragens fühlen sich meine Füße immer noch nicht gestresst an. Ich bin zufrieden, und wenn der geneigte Käufer auch immer die Pflege seiner Schuhe ernsthaft betreibt und wertige Schuhspanner nutzt, dann kann er an diesen Schuhen wirklich längere Zeit seine Freude haben.
Sonstiges
Der harte Teil liegt hinter uns, gehen wir rüber zu den Softskills der Borelli-Herrenschuhe. Hier kann ich ausnahmslos nur Positives feststellen.
Fangen wir beim Preis an. Der eigentliche Verkaufspreis der Borelli-Herrenschuhe lag einst angeblich bei 99,90 Euro, dass zumindest verriet mir das Etikett am Schuh. Ich wiederum bekam ihn für 59,90 Euro. Da fühlt man sich doch gleich als Gewinner! Doch nach einiger Recherche konnte ich nirgends einen Borelli-Schuh für knapp 100 Euro entdecken. Auch nicht in vergangenen Verkaufsphasen. Ich denke, dies ist ein gewiefter Marketing–Gag von Deichmann und ja auch nicht verboten. Der Kunde meint, so immer ein Schnäppchen gemacht zu haben.
Doch selbst für 99,90 Euro wäre dies kein schlechter Schuh, wie mein Test der Lloyd-Herrenschuhe bewiesen hat. Für 59,90 Euro bekommt der Kunde hier verdammt viel Herrenschuh für wenig Geld. Top!
Ebenfalls beeindruckend ist das angebotene Größenspektrum der Borelli-Herrenschuhe. Deichmann richtet sich also nicht nur an alle Käuferschaften, sondern auch an alle Fußgrößen unserer Republik. Die Borelli-Herrenschuhe sind in den Größen 40 bis 48 zu bekommen. Unter- und Übergrößen werden also ebenso versorgt.
Als letztes Gimmick wäre noch die Gentleman´s Corner zu nennen. Man findet sie nicht oft an Schuhen. Kennt man sie jedoch, dann vermisst man sie geradezu, wenn mal wieder Hosensaum am Absatz hängengeblieben ist. Bei den Borelli-Herrenschuhen kann dies dank Gentleman´s Corner nicht passieren.
In dieser letzten Rubrik räumen die Borelli-Herrenschuhe bei mir die Höchstwertung ab. Preis, Größenangebot und kleine Details wissen zu überzeugen und ich hab noch nicht einmal erwähnt, dass ihre Beschaffung äußerst leicht ist. Bei deutschlandweit etwa 1200 Deichmann-Filialen befindet sich meist immer eine in der Nachbarschaft.
Mein Fazit
Die Borelli-Herrenschuhe haben meine Erwartungen um Weiten übertroffen. Sicherlich, ich hatte hier keine Premiumschuhe in meinem Testlabor, doch die Qualität für knapp 60 Euro Anschaffungskosten kann sich wahrlich sehen lassen. Gerade in meinem Bekanntenkreis hat der Schuhgigant Deichmann ein eher schlechtes Image und auch ich hätte hier ehrlich gesagt einen Gurkenschuh erwartet. Bei meiner Recherche im Netz las ich von losgelösten Sohlen und Absätzen bei Borelli-Herrenschuhen, über miserablen Service und schlechte Qualität. Für mich persönlich war der Kauf ebenso eine Premiere gewesen. Ich gehörte zu den 30 Prozent der Bevölkerung, die noch nie eine Deichmann-Filiale von innen gesehen hatten.
Festhalten muss ich aber auch und das hat der Test bestätigt, dass das Label »rahmengenäht« durchaus nichts über die Gesamtqualität eines Schuhs aussagt. Die Verarbeitung kann als recht ordentlich angesehen werden, doch die verwendeten Materialien sind in ihrer Qualität wirklich nicht berauschend. Kein Wunder und da brauchen wir uns nichts vorzumachen: Bei diesem niedrigen Verkaufspreis müssen irgendwo Abstriche gemacht werden und eben gerade bei diesem Preis kann man nun wirklich keine Anschaffung fürs Leben erwarten.
Die Borelli-Herrenschuhe eignen sich mitunter ganz gut für Neueinsteiger auf dem Gebiet der rahmengenähten Herrenschuhe. Männer, die bisher von den vermeintlich hohen Anschaffungskosten abgeschreckt waren, können hier mit ruhigem Gewissen zugreifen. Mit den Borelli-Herrenschuhen erhält man eine rahmengenäht-light Erfahrung. Wenn die Schuhe dann auch nur im Ansatz zu überzeugen wissen, wird der Kunde beim nächsten Schuhkauf gewillt sein, einige Stufen höher in der Qualitätsskala von rahmengenähten Herrenschuhen zu kommen, da bin ich mir sicher. Einmal rahmengenäht, immer rahmengenäht!
Kommentare